Fall falsche Frage Schlaganfall

Hermann G. und die richtige Antwort auf die falsche Frage


„Ich habe mich gut gefühlt – und gedacht, das reicht als Argument zum Absetzen des Arzneimittels.“

1. Was ist passiert?

Hermann G. ist 59 Jahre alt, lebt mit Typ-2-Diabetes und macht gerne lange Spaziergänge – so lange ihn niemand daran erinnert, dass er krank ist.
Arzneimittel sieht er eher als notwendiges Übel. Schon die Medikamente gegen seinen Blutzucker hat er nur widerwillig eingenommen – „weil es halt sein muss“, wie er sagt. Vertrauen in Tabletten hatte er nie.

Vor rund einem Jahr entdeckte sein Hausarzt bei einer Routineuntersuchung Herzrhythmusstörungen. Die Diagnose: Kammerflimmern – und damit ein deutlich erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall.
Hermann war geschockt, aber ruhig. Sein Arzt erklärte ihm, dass man das Risiko mit einem blutverdünnenden Medikament deutlich senken könne. Hermann bekam den Wirkstoff Apixaban, einen modernes Gerinnungshemmer.

Er begann die Therapie. Und er blieb zunächst auch dabei – aus Vernunft, nicht aus Überzeugung.

Nach einem Jahr, ohne erkennbare Beschwerden, ohne Zwischenfälle, kehrte seine alte Skepsis zurück.
Der Gedanke, „dauerhaft Blutverdünner zu nehmen“, fühlte sich plötzlich übertrieben an. Die Sorge vor inneren Blutungen wuchs – genährt von einem Bekannten, der mit einem anderen Präparat Probleme hatte. Ohne Rücksprache mit seinem Arzt setzte Hermann das Medikament ab.

„Ich wollte meinem Körper mal eine Pause gönnen. Es war ja alles ruhig.“

Drei Wochen später erlitt er einen Schlaganfall.
Leicht, glücklicherweise ohne bleibende Schäden. Aber mit schwerer Erkenntnis.


2. Warum hat Hermann das Medikament abgesetzt?

Nicht, weil er sicher wusste, dass das Risiko gering war.
Sondern weil er sich die eigentliche Frage gar nicht stellte:

„Wie hoch ist mein Schlaganfallrisiko mit und ohne Medikament?“

Diese Frage ist komplex. Sie lässt sich nicht ohne medizinisches Wissen und Zahlen beantworten.
Deshalb ersetzte Hermann sie – unbewusst – durch eine einfachere Frage:

„Brauche ich das Medikament überhaupt noch – wo ich mich doch gut fühle?“

Diese kognitive Abkürzung nennt man in der Psychologie Substitution oder Frageersetzung:
Wenn wir mit einer schwierigen Frage konfrontiert sind, neigen wir dazu, sie durch eine leichtere zu ersetzen – ohne zu merken, dass wir uns damit auf einer ganz anderen Entscheidungsebene bewegen.

Hermann fühlte sich stabil. Keine Beschwerden, keine Warnzeichen. Daraus folgerte er:
„Ich bin gesund. Und wenn ich gesund bin, brauche ich kein Medikament.“

Eine logisch klingende Antwort – aber auf die falsche Frage.

Und genau das ist das Gefährliche an diesem Denkfehler:

Man fühlt sich sicher, weil man sich die richtige Antwort gegeben hat – nur leider auf die falsche Frage.


3. Was hat Hermann zum Umdenken gebracht?

Der Schlaganfall war ein Warnsignal. Zwar hatte Hermann Glück – doch er verstand, was er riskiert hatte. Und vor allem warum: Er hatte nicht absichtlich falsch entschieden, sondern unbewusst vereinfacht gedacht.

In einem Gespräch mit seinem Arzt wurde ihm klar:
Sein Gefühl von Gesundheit war kein verlässlicher Indikator für Sicherheit.
Er hatte die sichtbare Realität („Ich fühle mich gut“) mit der unsichtbaren Gefahr („Mein Risiko bleibt bestehen“) verwechselt.

Heute sagt er:

„Ich dachte, meine Entscheidung war logisch. Aber sie war nur leicht.“


4. Was können andere Patient:innen aus Hermanns Fall lernen?

Gute Entscheidungen brauchen gute Fragen.
Und manchmal sind die wichtigsten Fragen die, die nicht leicht zu beantworten sind.

Hermann hat seine Therapie nicht abgebrochen, weil er schlecht informiert war – sondern weil er falsche Schlüsse aus dem richtigen Gefühl gezogen hat. Dieses Muster passiert häufig, gerade bei Vorsorge- und Dauertherapien: Man fühlt sich gut – und glaubt, das sei ein Zeichen dafür, dass die Therapie überflüssig ist.

Aber:
Prävention wirkt dann, wenn nichts passiert.
Und genau das macht sie schwer fassbar.

Deshalb gilt:
Wenn Sie unsicher sind, ob ein Medikament noch nötig ist – stellen Sie die Frage nicht sich selbst, sondern dem Arzt. Und wenn Ihnen die Antwort zu technisch erscheint: Bleiben Sie dran. Denn einfache Fragen führen selten zu tragfähigen Entscheidungen.d schützt so seine Sehkraft.


Warum Hermann seine Geschichte veröffentlicht hat

Hermann hat seinen Schlaganfall überstanden – ohne bleibende Schäden. Doch die Erfahrung hat ihn verändert. Er sagt:

„Ich habe erst durch den Schlaganfall verstanden, was ich vorher verdrängt habe.“

Für ihn war klar: Wenn er einen Denkfehler machen konnte, obwohl er sich informiert fühlte, dann kann das auch anderen passieren. Deshalb hat er sich entschlossen, seine Geschichte zu erzählen.

Er will zeigen, wie leicht man sich von einem guten Gefühl täuschen lassen kann – besonders bei Medikamenten, deren Nutzen man nicht direkt spürt. Und er will anderen Mut machen, mit ihren Fragen nicht allein zu bleiben:

„Ich hoffe, dass meine Geschichte andere wachrüttelt – nicht aus Angst, sondern aus Einsicht. Damit sie sich nicht erst dann Gedanken machen, wenn es fast zu spät ist.“


Entscheidungen wie die von Hermann waren der Anlass für ein Bildmotiv, das heute in vielen Arztpraxen und Apotheken hängt.
Es warnt davor, eine Therapie aus Sorge oder Unsicherheit vorschnell abzusetzen – gerade dann, wenn die Wirkung leise im Hintergrund arbeitet.


Hermann und die falsche Frage

Eine Ursache für Hermanns Entscheidung war, dass er der komplexen (aber richtigen) Frage aus dem Weg gegangen ist und sie durch eine einfache (aber falsche) Frage ersetzt hat.

Substitution gehört zu einer Gruppe von systematischen Fehlern beim Wahrnehmen, Urteilen und Entscheiden. Mehr über solche Fehler lesen Sie hier:


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