Lara M. und unsere unbewussten Denkmuster
„Ich war mir so sicher, dass es nicht das Richtige für mich ist – dabei hatte ich nie richtig darüber gesprochen.“

1. Was ist passiert?
Lara M., 42, leidet seit vielen Jahren unter Migräne – an zehn bis vierzehn Tagen im Monat. Nach zahlreichen Versuchen mit Akutmedikation, Magnesium, Ernährungstagebuch und Entspannungstechniken empfahl ihre Neurologin schließlich eine Migräneprophylaxe mit Galcanezumab, einem sogenannten CGRP-Antikörper, der einmal im Monat unter die Haut gespritzt wird. Diese Wirkstoffklasse blockiert gezielt ein Botenmolekül, das bei der Entstehung von Migräne eine zentrale Rolle spielt.
Lara begann die Therapie mit vorsichtigem Optimismus. Doch nach der dritten Dosis kamen Zweifel auf: Die Migräneanfälle waren kaum weniger geworden. Gleichzeitig fühlte sie sich gereizt, müde, irgendwie verändert.
Statt ihre Ärztin zu informieren oder nach möglichen Erklärungen zu fragen, entschied sich Lara, die Therapie abzubrechen – ohne Rücksprache, ohne Einordnung.
2. Warum hat Lara ihre Ärztin nicht angesprochen?
Im Rahmen unseres Interviews haben wir Lara auch gefragt, warum sie die Therapie abgebrochen und nicht mit ihrer Ärztin über ihr Problem gesprochen hat. Ihre Antwort:
„Ich hatte das Gefühl, dass das Medikament nichts bringt. Und diese Stimmungsschwankungen kamen dazu. Mit der Ärztin habe ich deshalb nicht gesprochen, weil ich ohnehin wusste, was sie mir sagen würde.
Lara hielt ein Gespräch mit der Ärzten für überflüssig. Sie traf ihre Entscheidung im Alleingang, ohne ärztliche Rücksprache, ohne Einordnung. Der Gedanke, dass es auch andere Ursachen für ihre Beschwerden geben könnte oder sich die Wirkung des Medikaments erst verzögert zeigt, spielte für sie keine Rolle.
Diese Haltung steht exemplarisch für ein Phänomen, das wir in vielen Interviews beobachten: unbewusste Denkmuster, die nicht nur Therapieentscheidungen beeinflussen – sondern auch dazu führen, dass wichtige Gespräche gar nicht erst geführt werden.
Solche Denkmuster entstehen, weil das Gehirn ständig versucht, Informationen zu vereinfachen, einzuordnen und schnelle Schlüsse zu ziehen – besonders in Situationen, die mit Unsicherheit, Aufwand oder unangenehmen Gefühlen verbunden sind. Diese geistigen Abkürzungen passieren meist automatisch – wir bemerken sie nicht, handeln aber auf ihrer Grundlage.
Die Folgen spüren wir gerade bei der Anwendung von Medikamenten: Therapien werden voreilig abgesetzt, Wirkung und Nebenwirkungen falsch eingeschätzt, hilfreiche Rückfragen unterlassen. Aber diese Mechanismen wirken nicht nur in der Medizin – sie beeinflussen auch berufliche Entscheidungen, private Beziehungen oder unseren Umgang mit Geld, Ernährung und Risiken.
Wer sie erkennt, kann bewusster gegensteuern – und klüger entscheiden.
Bei Lara wirkten gleich mehrere dieser Muster zusammen:
🔹 Gegenwartsverzerrung – Das Gefühl „Es bringt nichts“ und „Ich will da raus“ dominierte – der mögliche Langzeiteffekt rückte in den Hintergrund.
🔹 Kausale Fehlzuschreibung – Neue Symptome wurden automatisch dem Medikament zugeschrieben, ohne andere Erklärungen zu prüfen.
🔹 Überschätzte Gewissheit – Lara verließ sich auf ihr Bauchgefühl – so sehr, dass sie ärztlichen Rat gar nicht mehr für nötig hielt.
3. Was andere Patient:innen aus Laras Geschichte lernen können
Viele Menschen brechen eine Therapie nicht ab, weil sie unvernünftig oder nachlässig sind – sondern weil sie das Gefühl haben, schon genug zu wissen. Oft liegt genau darin das Problem: Man bewertet Symptome, Wirkungen oder Nebenwirkungen vorschnell, ohne ärztlichen Rat einzuholen. Die Entscheidung fühlt sich richtig an – aber sie beruht auf einem Denkprozess, der unvollständig ist.
Der Fall von Lara zeigt, wie stark unbewusste Denkmuster unser Verhalten beeinflussen können – selbst dann, wenn wir überzeugt sind, gerade besonders vernünftig zu handeln.
Wer solche Muster erkennt, kann sich in kritischen Momenten selbst hinterfragen: Habe ich wirklich alle Informationen? Habe ich das Gespräch gesucht – oder nur innerlich abgeschlossen? Gerade bei vorbeugenden Medikamenten wie Galcanezumab ist es wichtig, realistische Erwartungen zu entwickeln, Nebenwirkungen einzuordnen – und Unsicherheit nicht vorschnell mit Abbruch zu beantworten.
Warum Lara ihre Geschichte veröffentlicht hat
„Ich dachte damals wirklich, ich hätte alles durchdacht. Heute weiß ich: Ich habe einfach zu früh aufgegeben – und nicht darüber gesprochen. Es war kein bewusster Fehler, aber es war ein Fehler. Wenn andere sich in meiner Geschichte wiedererkennen und merken, dass es sich lohnt, noch einmal nachzufragen, dann hat sich das Teilen gelohnt.“
Entscheidungen wie die von Lara waren der Anlass für ein Bildmotiv, das heute in vielen Arztpraxen und Apotheken hängt.
Die Botschaft an Patient:innen lautet: Wir alle nutzen unbewusste Denkmuster beim Entscheiden. Sie helfen uns, im Alltag schnell und intuitiv zu urteilen.
In medizinischen Fragen aber können sie leicht in die Irre führen – wenn wir zu früh schließen, zu sicher urteilen oder wichtige Rückfragen unterlassen.

Lara und unsere Denkmuster
Ein Denkmuster, das bei Laras Entscheidung eine Rolle gespielt hat, war die sogenannte Gegenwartsverzerrung. .

Die Gegernwrtsverzerrung gehört zu einer Gruppe von systematischen Fehlern beim Wahrnehmen, Urteilen und Entscheiden. Mehr über solche Fehler lesen Sie hier:
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